Megatrends wie die Digitale Transformation oder steigenden Kundenansprüche an eine nachhaltige Schadenregulierung sowie Entwicklungen wie Extremwetterereignisse verursachen ein dynamisches Marktumfeld, auf dem sich Versicherer zurechtfinden müssen. © zeb
Verschiedene Megatrends und Entwicklungen verursachen ein dynamisches Marktumfeld. Resultierende Effekte wirken direkt auf alle Dimensionen des Schadendreiecks ein. Weiter steigende Kundenansprüche, wie beispielsweise an eine nachhaltige Schadenregulierung, an kurze Reaktionszeiten und an hohe Servicequalität, treffen auf eine anhaltende Schadeninflation sowie den steigenden Fachkräftemangel. Im Rahmen der digitalen Transformation sind zusätzliche Investitionen notwendig, um nicht zuletzt auf die steigende Anzahl an Extremwetterereignissen mit skalierbaren digitalisierten und (teil)automatisierten Prozessen reagieren zu können. In der zeb Versicherungsstudie 2022 „Stürmische Zeiten“ sind fünf wesentliche Handlungsfelder des Schadenmanagements aufgegriffen und Lösungsansätze identifiziert.
Claims-Strategie
Es gilt die richtigen organisatorischen, prozessualen und technologischen Schwerpunkte in der Weiterentwicklung der eigenen Schadenorganisation zu setzen. Die Schadenstrategie setzt hierbei den Rahmen und die Leitplanken. In diesem Kontext sind individuell das Geschäftsmodell, die Vertriebsstrukturen, der Portfolio-Mix, die Größe und viele weitere Faktoren des Versicherers zu berücksichtigen.
Einige Markteilnehmer haben sich in der Vergangenheit strategisch beispielsweise stark auf die Schadenaufwandssteuerung konzentriert, andere wiederum auf Kundenzufriedenheit oder Effizienz. Gesellschaften mit Nischenprodukten haben sich intensiv mit Technologie und Digitalisierung auseinandergesetzt.
Anders sieht es bei Vollsortimentern aus, die auch umfangreiche vertriebliche Einbindung ihrer Ausschließlichkeitsvertriebe in der Schadenregulierung zu berücksichtigen haben. Hier treiben sowohl fachliche (Regulierungsvollmachten und Vorgaben) als auch technische Fragestellungen (systemische Anbindung) die Komplexität. Die Ausgangssituation ist bei den Versicherern folglich sehr unterschiedlich.
Das klassische Schadendreick muss heute auch weitere Dimensionen berücksichtigen: So sollten Versicherungen beispielsweise auch ihren künftigen Investitionsbedarf miteinkalkulieren. © zeb
Die initiale Standortbestimmung ermöglicht es, unter Berücksichtigung der Unternehmensstrategie, individuelle Handlungsfelder für die Schadenorganisation zu schneiden. Auf dieser Basis berücksichtigt eine ganzheitliche Schadenstrategie – neben den Dimensionen des Schadendreiecks – auch weitere zentrale Fragestellungen. Um den aktuellen externen Einflussfaktoren Rechnung zu tragen und interne wesentliche Fragestellungen zu berücksichtigen, sind beispielsweise Mitarbeiter, Vertrieb und Nachhaltigkeit als zusätzliche Dimensionen zu ergänzen.
IT-Systeme und Technologie
Erste Potenziale der Digitalisierung durch Versicherer sind gehoben. Es existiert fast kein Versicherer im deutschen Markt, der seinen Kunden nicht die Möglichkeit bietet, mit komfortablen Meldestrecken seinen Schaden zu melden. Die Nutzung und Akzeptanz der Kunden steigen. In Zeiten von starken Wettereignissen stellt diese Variante eine echte Alternative zur Erstmeldung von kleineren Schäden bis ca. 3.000 Euro zu den bestehenden Meldekanälen dar. Einige Gesellschaften haben bereits erfolgreich diese Meldestrecken um Chat-Bots oder automatisierte Schadenanlagen erweitert. Darüber hinaus wird an automatisierten Freigabeprozessen gearbeitet, die bei schlechter telefonischer Erreichbarkeit Hinweise zum weiteren Vorgehen geben.
Eine Realisierung weiterer Effizienzen erfolgt nur schrittweise und die E2E-Prozessautomatisierung scheitert oft an veralteter IT-Infrastruktur. Wer hier frühzeitig investiert hat, baut neue digitale und automatisierte Schadenprozesse auf einer großen Bandbreite an technologischen Möglichkeiten auf. Nischenanbieter mit einem entsprechenden Portfolio und damit weniger komplexen Infrastrukturen fällt dies in der Regel leichter. Vollsortimenter mit komplexeren Portfolien kämpfen in der Folge mit gleichermaßen komplexen technischen Infrastrukturen.
In den Fokus rückt zunehmend auch der Wert von Daten. Die Generierung und der Austausch sowie die Speicherung und Nutzung strukturierter Daten ist das Fundament automatisierter Prozesse. Regelwerke und Künstliche Intelligenz können nur datengestützt Prozessautomatisierung vorantreiben. Mit steigender Vernetzung der Branche und wachsender Anzahl von unterschiedlichsten externen Partnern in Schadenprozessen gewinnt die effiziente Einbindung von Technologie- und Fachpartnerunternehmen in die eigene Architektur an Relevanz.
Schadensteuerung
Der Einsatz von neuen Technologien bietet weitere Möglichkeiten die Steuerung von Schäden zur Aufwandsreduktion zu optimieren. Diese hat unmittelbaren Einfluss auf die Beitragskalkulationen und verhindert somit die Notwendigkeit von Beitragserhöhungen über Marktniveau. Damit ist Schadensteuerung ein zentrales Element zur Sicherung der Profitabilität und eine Möglichkeit über attraktive Preise Wachstum zu subventionieren.
Nach der Erstmeldung ist die gezielte datenbasierte Steuerung von Schäden in der Regel der größte Hebel. Beispielsweise eine unmittelbare Betrugserkennung, fiktive Abrechnung, Werkstatt- sowie Handwerker-Steuerung haben einen höheren Einfluss auf den Aufwand, als die reine Automatisierung von Prozessen. Es gilt daher, Prozesse nicht nur zu digitalisieren, sondern das Konzept der Schadensteuerung neu zu denken. Im Ergebnis werden dem Kunden unmittelbar intelligente Regulierungsangebote gemacht. Einfache und häufig auftretende Schäden lassen sich so weitgehend automatisiert verarbeiten.
Neben der Zielsetzung, Schäden vollständig dunkel zu steuern, ist auch die Vorbereitung der Schadenbearbeitung für den Sachbearbeiter bei komplexeren Schäden ein großer Hebel. In diesen Schadenfällen wird die assistierte Bearbeitung bis hin zur automatisierten next-best-action Entscheidung eine große Rolle für eine schnelle und unkomplizierte Abwicklung einnehmen.
Kundenerlebnis
Kundenzufriedenheit spielt bei allen Gesellschaften eine wichtige Rolle. Trotz dieses Bewusstseins erfolgt eine konsequente Analyse der Kundenreise Schaden nur selten – durch Ableitung gezielter Maßnahmen gilt es, relevante Mehrwerte für den Kunden zu schaffen. Die konsequente E2E-Betrachtung schließt hierbei sowohl das Thema Prävention und Services vor Schadenereignis, als auch das Follow-Up nach der Regulierung mit ein.
In Zukunft ist es für Kunden wichtig, Antworten auf ihre Fragen jederzeit abrufbar zu erhalten, wenn es aus ihrer Sicht erforderlich ist. Was aber, wenn es komplizierter wird? Versicherte erleiden im Schnitt etwa alle sieben Jahre einen Versicherungsschaden. Für Kunden ist ein Versicherungsschaden somit alles andere als Routine. In kleineren Schadenfällen geht es in der Regel nur um schnelle und unkomplizierte Abwicklung. Hier ist der Einsatz moderner Technologie zur Automatisierung zu forcieren. Entscheidend ist es jedoch auch, umfangreiche Schäden möglichst transparent abwickeln zu können, um auch den Kunden das Gefühl einer schnellen Hilfeleistung zu geben.
- Transparenz bei komplexeren Schäden: Umfangreiche Schäden, wie z.B. Leitungswasserschäden oder große Reparaturen an verunfallten Fahrzeugen, nehmen selbst bei optimaler Bearbeitung aller Beteiligten erfahrungsgemäß längere Zeit in Anspruch. Teile werden bestellt, Gewerke müssen sich nach Baufortschritt abstimmen, Trocknungszeiten sind zu berücksichtigen etc.. Können Kunden den eigenen Schadensfall „tracken“ und den Bearbeitungsstatus jederzeit online nachvollziehen, erhöht das zweifellos auch die Transparenz. Um den Kunden vollständig abzuholen, ist auch die Transparenz über die nächsten Schritte erforderlich. In der Interaktion mit dem Kunden kommt den involvierten Vertriebspartnern der Gesellschaften eine wichtige Rolle zu.
- Support: Neben der Transparenz ist in Zeiten des Fachkräftemangels ein direktes Serviceangebot bei komplexen Schäden erforderlich. Häufig benötigt der Kunde, beispielsweise bei Leitungswasserschäden, Unterstützung bei der allgemeinen Einschätzung von Ursache und Ausmaß des Schadens sowie bei der Beauftragung der Handwerker. Hier spielen erfahrene Sachverständige und ein breites Partnernetz eine große Rolle. Auch die Beurteilung von Schäden per Videobegutachtung oder mit Fotos versetzt Versicherer mittlerweile in die Lage, Ihre Kunden unmittelbar zu unterstützen. Wissen über das Schadenausmaß und die -ursache führt in der Folge zu gezieltem Einsatz von Handwerksbetrieben für die Reparatur bzw. Wiederherstellung. Dies sorgt im Ergebnis nicht nur für eine effiziente und effektive Regulierung bei diesen komplexen Schäden, sondern ermöglicht schnellstmögliche Hilfe vor Ort.
Personal und Organisation
Auch das Thema Mitarbeiter wird für Versicherungen zunehmend ein Risikofaktor: Unter anderem wird die Qualität der Bewerbungen heterogener, gleichzeitig steigen die Anforderungen der Bewerber und auch das Recruiting wird zum Kostenfaktor. © zeb
Die Assekuranz befindet sich auf dem Weg des kulturellen Wandels. Insbesondere die digitale Transformation und damit einhergehende Anpassungen in der Aufbau- und Ablauforganisation müssen durch eine positive Unternehmenskultur gestützt werden. Die Durchführung einer Messung ermöglicht es, die eigene Kultur zu analysieren, zu interpretieren und zu optimieren. Die Mitarbeiter mitzunehmen und zu motivieren, ist eine zentrale Herausforderung. Die meisten Gesellschaften werden auch in Zukunft in den Schadenbereichen gut ausgebildetes Fachpersonal, wie beispielsweise Versicherungskaufleute, Ingenieure und Juristen vorhalten müssen. Neue Skills, wie etwa durch Business Analysten, werden dazukommen.
Autorin Silke Liedtke ist Senior Advisor Practice Group Insurance der Strategie-, IT- und Managementberatung zeb.
Technologie und Automatisierung wird den demographischen Wandel jedoch nicht vollständig und ausreichend kompensieren. Schon heute fehlt in vielen Häusern dieses Personal und der „War of Talents“ ist in vollem Gange. Für Versicherer ist es essenziell, den Personalbedarf – unter Berücksichtigung der Unternehmensentwicklung – abzuleiten. Zielsetzung ist es, ein realistisches Bild zu entwerfen, welcher Anteil des fehlenden Personals durch die technologische Entwicklung kompensiert werden kann und welcher nicht. In der Strategie sollte ein Handlungsfeld „Mitarbeiter“ beschrieben sein, um die darüber hinaus fehlende fachliche Ressource in den nächsten Jahren durch diverse Maßnahmen aufzubauen. Aktuelle zeb-Simulationen zeigen, dass Versicherer bis zu einem Drittel der Mitarbeitenden bis zum Jahre 2030 verlieren werden. Ohne Gegenmaßnahmen der strategischen Personalplanung zur Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern wird dieser Verlust zum Geschäftsrisiko.