Insurtech Boom trotzt der Krise

Ein Artikel von red | 21.07.2020 - 09:43

Inmitten zahlloser Krisenmeldungen deutet sich an, dass sich das Insurtech Ökosystem auch in schwierigen Zeiten behaupten kann: Der InsurTech Hub Munich (ITHM) registrierte in den vergangenen Wochen über das gewohnte Maß hinausgehend viele Erfolgsnachrichten von Mitgliedern seines Netzwerks. „Risikokapitalgeber investieren aktuell sehr aktiv in Startups, Versicherer zeichnen außergewöhnlich viele POCs“, erklärt der amtierende Managing Director des ITHM, Christian Gnam. „Es ist sichtbar, welch große Bedeutung der Digitalisierung im ‘new normal‘ zukommt.”

Gnam berichtet: „Zu dem Zeitpunkt, als sich weltweit abzeichnete, dass uns die Pandemie länger begleiten wird, befanden wir uns gerade mitten in unserem jährlichen Innovation Programme. Mitte März spürten wohl alle von uns - Gründer, Mentoren, Unternehmenspartner und Investoren – eine starke Verunsicherung. “

Im Rückblick betrachtet hielt dieser Zustand jedoch nur kurze Zeit an. Der ITHM strukturierte sein Innovation Programme entsprechend der neuen Gegebenheiten um und nahm den Betrieb nach wenigen Tagen virtuell wieder voll auf. "Seitdem haben wir nur wenige Startups aus dem Insurtech-Bereich straucheln gesehen - viele hingegen haben enorm an Fahrt aufgenommen", so Gnam.

Technologie als Schlüsselelement der Prävention

Serviceorientierte Branchen sind imstande, kunden- und prozessorientierte digitale Lösungen vergleichsweise schnell einzuführen. Als die Corona-Krise Deutschland traf, war die Versicherung eine der Branchen, die ihren Betrieb aufrechterhalten konnte. Selbst Skeptiker stellten fest, dass Kunden und Mitarbeiter nicht nur bereit waren, neue digitale Tools einzusetzen, sondern diese auch aktiv nachfragten. Unzählige Mitarbeiter wechselten von einem Tag auf den anderen reibungslos ins Home Office.

„Vor wenigen Monaten noch wäre eine Transformation mit dieser Geschwindigkeit für die meisten undenkbar gewesen“, sagt Benedikt Kalteier, Head of Strategy und Vorstandsmitglied der Generali Deutschland Versicherung AG sowie Mitglied des ITHM-Vorstands, „vor wenigen Jahren wäre sie unmöglich gewesen".

Die Generali hat kürzlich eine Zusammenarbeit mit dem Münchner Startup MotionsCloud angekündigt, um die Schadenbearbeitung mittels eines videobasierten Ansatzes sicherer und schneller zu gestalten. „In Zeiten der Corona-Krise erleben wir, wie Technologie ein Schlüsselelement der Prävention sein kann“, kommentiert Giovanni Liverani, CEO der Generali Deutschland.

Großes Interesse von Investoren und Versicherern

Zahlreiche Startups aus dem ITHM-Netzwerk optimierten ihre Lösungen, um einen Beitrag zur Bekämpfung des Virus zu leisten. Das in Berlin ansässige Digital Health Startup Thryve entwickelte in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut eine der ersten Tracking-Apps, die „Corona Datenspende“.

Und auch die Versicherer reagierten schnell auf die neue Situation: Der ADAC führt derzeit POCs (Proofs of Concept) mit fünf verschiedenen Teilnehmern des Innovation Programmes durch. Beim Investor Showcase des ITHM Mitte Juni verfolgten Vertreter von mehr als 50 internationalen VCs die Pitches der 13 besten Startups dieses Jahres – so viel Interesse von Investorenseite war nie zuvor. Ein Tag darauf setzte der Demo Day, Höhepunkt des jährlichen Innovationsmarathons, mit 500 Teilnehmern einen weiteren Rekord.

Das große Interesse an den Alumni des ITHM lässt sich aber auch an konkreten Erfolgsmeldungen ablesen: Carsten Maschmeyers Venture Capital Fonds Alstin Capital verkündete im Mai eine Beteiligung an Nect. Das Hamburger Startup hat sich im Identity Management einen Namen gemacht. Bereits im April konnte das Münchner Datenrechte- Startup It's My Data eine große Investition des Family Office 4L Vision verbuchen.

Der Leipziger Vertragsmanager Wechselgott, die österreichischen KI-Spezialisten von Prewave und das spanische Fintech Finnu haben Seed-Finanzierungsrunden abgeschlossen. Go!, ein in Singapur und Thailand ansässiger Gesundheitsdienstleister, sammelte Pre-Seed-Mittel ein. Instahelp (Österreich) und Vitadio (Tschechische Republik) werden von CB Insights, der führenden Plattform für Tech Market Intelligence, als bestfinanzierte Digital Health Startups in Europa gelistet. Der Versicherer LV1871 hat gerade eine Zusammenarbeit mit Instahelp angekündigt. Bdeo (Schadenautomatisierung / Spanien) und Kruzr (Verkehrssicherheit / USA) wurden vom Market Research Unternehmen Gartner als „Cool Vendors in Insurance“ ausgezeichnet. Emmora war einer der Gewinner der „Digitaltag“-Challenge, einem von der Bundesregierung unterstützten Projekt zur Sensibilisierung für digitale Medien. Die Digital Health Startups Pathmate und Zelros haben Zertifizierungen für ihre App bzw. ihren Online-Kurs erhalten - eine wichtige Voraussetzung für die Verschreibungs- und Erstattungsfähigkeit ihrer Leistungen in Deutschland.

Kompetente Reaktion auf eine beispiellose Krise

 „Wir haben während der Finanzkrise 2008 oder der dot.com-Blase Anfang der 2000er Jahre Zusammenbrüche des Marktes erlebt. Terroranschläge, überraschende Ausgänge großer Wahlen oder folgenschwere Naturkatastrophen bestimmen seit Jahren das `new normal‘. Die COVID-19-Krise und die Maßnahmen, die weltweit ergriffen wurden, stellen bei alledem eine beispiellose Dimension dar. Beispiellos ist allerdings auch, wie kompetent wir darauf reagieren können “, kommentiert Tom Van den Brulle, Global Head of Innovation bei der Munich Re und Vorsitzender des ITHM-Vorstands.

Generali-Manager Benedikt Kalteier ergänzt: „Was heute funktioniert - oder auch nicht funktioniert - kann direkt darauf zurückgeführt werden, wie beherzt wir in den vergangenen Jahren die digitale Transformation vorangetrieben haben. Jetzt die Innovationsgeschwindigkeit zu drosseln, wäre fatal und würde uns in der nächsten Krise nur umso verwundbarer machen.