Die Sicht der Versicherung
Solveig Schulze ist Head of Digitalisation bei der Gothaer und Managing Director der Gothaer Digital.
Eine Studie des Rheingold Institutes unter der Gen Z hat ergeben, dass diese erwartet, dass Versicherungen ihre Werte und Ziele teilen. Geht das zusammen? Die Werte der Altersgruppe 15 bis 25 Jahre und die eines großen Konzerns?
Solveig Schulze: Selbstverständlich geht das zusammen. An erster Stelle steht das Verständnis für unsere Kund:innen und den Wunsch sie bestmöglich zu begleiten. Das gilt für alle Generationen. Durch digitale Produkte schaffen wir mehr Transparenz und einen einfacheren Zugang für die jüngere Generation, zudem ist das Thema Nachhaltigkeit und die Frage wie wir gemeinsam die Energiewende meistern können, zentraler Bestandteil unserer Strategie bei der Gothaer und versucht damit auch die Fragen der Generation Z mit zu beantworten.
Ein weiteres Ergebnis dieser Umfrage war, dass die Gen Z „schnelle, flexible und transparente“ Angebote möchte. Ist die Gen Z ungeduldiger in ihren Ansprüchen als vorherige Generationen? Und hinken da Versicherungen nicht immer ein wenig hinter diesen Ansprüchen hinterher?
Solveig Schulze: Ich weiß nicht ob ich es als ungeduldig beschreiben würde, die Gen Z ist ganz anders mit Technologien und digitalen Services groß geworden, daher ist es für sie eine Selbstverständlichkeit. Uns kann dieser Anspruch nur helfen, uns schneller an die digitale Welt anzupassen. Wir haben definitiv noch Aufholarbeit, aber je besser wir die Kunden verstehen, umso zielgerichteter können wir unsere Produkte gestalten.
Das Streben nach Individualität ist bei Gen Z sehr verbreitet. Wie weit lässt sich das überhaupt technisch bei Versicherungsprodukten übersetzen?
Solveig Schulze: Wir wollen jedem Kundenn den bestmöglichen Service und Produktauswahl anbieten. Hierbei geht es nicht darum, dass jedes Produkt individuell ist, sondern dass die Zusammensetzung und der Service abgestimmt auf die Bedürfnisse sind. Das ist besonders durch neue technische Möglichkeiten, beispielweise in unserer App, möglich, da hier der Kunde einen Überblick hat und wir kontinuierliche neue Partner im Bereich Gesundheit anbinden.
Im Bereich Finance macht der Begriff Embedded Finance (=eine hybride Umgebung, die Finanzdienstleistungen durch Banking-as-a-Service und API-Infrastruktur auf andere Ökosysteme und Umgebungen ausweitet. Einfach ausgedrückt: Nicht-Banken können Finanzdienstleistungen wie Geldbörsen und Konten anbieten) die Runde. Wird sich so etwas auch im Versicherungsumfeld etablieren?
Solveig Schulze: Definitiv ist der Aufbau bei uns von unterschiedlichen Ökosystemen, welche noch besser auf die Kundnenbedürfnisse einzahlen, ein Fokusfeld. Ganz praktisch gesprochen, möchte der Kunde die Dienstleistungen so einfach und gesammelt präsentiert haben wie möglich. Aber auch aus der Innensicht sind diese Art der Ökosysteme eine große Chance für uns, da sie uns entlang der gesamten Wertschöpfungskette neue Möglichkeiten für Produktentwicklung und Partnerschaften ermöglichen.
Da in anderen Branchen bereits die Transformation von Digitalisierung und Customer Experience erfolgreich umgesetzt wurde, haben Konsumierende nun auch einen deutlich gesteigerten Anspruch an ihre Versicherer – sogenannte Liquid Expectations. Somit erarbeitet sich jedes Versicherungsunternehmen einen klaren Wettbewerbsvorteil, welcher eine branchenweit einmalige Customer Experience liefert. Können Sie hier Beispiele und Anregungen nennen?
Solveig Schulze: Wie bereits gesagt, gibt es in unserer Branche noch Nachholbedarf und gleichzeitig viele Möglichkeiten. Wir haben beispielsweise eine Digital Factory in der Gothaer entwickelt, welche eng am Kunden alle Kundenanliegen nach und nach digitalisiert und immer wieder am und mit dem Kunden iteriert. Zudem bieten wir unterschiedliche neue Services, beispielsweise in der Gesundheitsapp an. Hier partnern wir unter anderem auch mit Start-ups und versuchen, mit Produkten wie dem „Symptomchecker“ den/die Kunden zu entlasten.
Die Sicht der Wissenschaft
Professor Dr. André Marchand ist seit 2020 Inhaber der Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Direktor des Instituts für Service und Relationship Management an der Universität Leipzig. Er publiziert seine Forschung regelmäßig in international führenden wissenschaftlichen Zeitschriften wie z.B. dem Journal of Marketing, JAMS, JR, JSR und IJRM. Im aktuellen Handelsblatt-Ranking für BWL gehört Professor Marchand zu den Top 10% forschungsstärksten Betriebswirten im deutschsprachigen Raum.
Wenn Sie die Gen Z in drei Worten beschreiben müssten – welche Begriffe wären das?
Prof. Dr. André Marchand: Z.B.: Woke, Random, Cringe
Eine Studie des Rheingold Institutes unter der Gen Z hat ergeben, dass diese erwartet, dass Versicherungen ihre Werte und Ziele teilen. Geht das zusammen? Die Werte der Altersgruppe 15 bis 25 Jahre und die eines großen Konzerns?
Prof. Dr. André Marchand : Das ist durchaus möglich. Zentrale Themen für diese Altersgruppe sind z.B. Nachhaltigkeit und Zukunftsunsicherheit. Beides sind Kernthemen der Versicherungswirtschaft. Nachhaltigkeit im Sinne von verantwortungsvollen, ressourcenschonenden Geschäftsprozessen lassen sich für Versicherer einfacher etablieren als in vielen anderen Branchen. Und auch Zukunftssicherheit geht Hand in Hand mit Versicherungsprodukten wie z.B. der private Altersvorsorge. Es geht hier also vorrangig um eine an die Gen Z angepasste Kommunikationspolitik, um die Werte und Ziele überzeugend und empathisch mit der Gen Z zu teilen. Aber auch die Produkte und Prozesse werden mehr und mehr auch für diese Zielgruppe angepasst, siehe nächste Punkte.
Ein weiteres Ergebnis dieser Umfrage war, dass die Gen Z „schnelle, flexible und transparente“ Angebote möchte. Ist die Gen Z ungeduldiger in ihren Ansprüchen als vorherige Generationen? Und hinken da Versicherungen nicht immer ein wenig hinter diesen Ansprüchen hinterher?
Prof. Dr. André Marchand: Die vielen beeindruckenden Insurtec-Innovationen arbeiten genau in diese Richtung. Spontan fallen mir Insurtecs wie Lemonade, DFV und den vielen anderen auf der insureNXT vertretenen zum größten Teil relativ jungen Firmen ein. Diese Versicherungstechnologien erlauben beispielsweise Abschlüsse aber auch Schadensmeldungen in wenigen Minuten per Smartphone-App, ohne, dass hierfür beispielsweise längere, persönliche Beratungsgespräche notwendig sind. Weitere Technologien wie Chatbots (z.B. ChatGPT) werden diese Entwicklung weiter voran treiben und genau diese Ansprüche bedienen.
Das Streben nach Individualität ist bei Gen Z sehr verbreitet. Wie weit lässt sich das überhaupt technisch bei Versicherungsprodukten umsetzen?
Prof. Dr. André Marchand: Mit Hilfe von umfangreichen Nutzungsdaten und machine learning lassen sich bereits heute individuelle Angebote erstellen. Ich bin überzeugt, dass dies in Zukunft auch noch weiter zunehmen wird.
Im Bereich Finance macht der Begriff Embedded Finance (=eine hybride Umgebung, die Finanzdienstleistungen durch Banking-as-a-Service und API-Infrastruktur auf andere Ökosysteme und Umgebungen ausweitet. Einfach ausgedrückt: Nicht-Banken können Finanzdienstleistungen wie Geldbörsen und Konten anbieten) die Runde. Wird sich so etwas auch im Versicherungsumfeld etablieren?
Prof. Dr. André Marchand : Gerade bei den vielen neuen Insurtecs sehen wir auch Nicht-Versicherungsunternehmen, die neu in den Markt eindringen, das ist also durchaus auch im Versicherungsumfeld ein Trend.
Da in anderen Branchen bereits die Transformation von Digitalisierung und Customer Experience erfolgreich umgesetzt wurde, haben Konsumierende nun auch einen deutlich gesteigerten Anspruch an ihre Versicherer – sogenannte Liquid Expectations. Somit erarbeitet sich jedes Versicherungsunternehmen einen klaren Wettbewerbsvorteil, welcher eine branchenweit einmalige Customer Experience liefert. Können Sie hier Beispiele und Anregungen nennen?
Prof. Dr. André Marchand: Digitale Transformation ist ein andauernder Prozess, der sowohl für kleine als auch große Versicherer relevant ist. Auch hier empfehle ich, sich die vielen neuen Insurtecs anzuschauen, die genau diese agile Customer Experience bieten. Ich gehe davon aus, dass auch die großen, etablierten Versicherungen hier in Kürze ebenfalls mehr „Digital“ und „Tec“ anbieten werden.
Mehr Infos auf der insureNXT
insureNXT ist eine internationale Kongressmesse und Konferenz für Innovation in der Versicherungswirtschaft. Sie bietet eine moderne Plattform für Versicherungsunternehmen, Start-ups, Versicherungsdienstleister, Industrie-Partner und Hochschulen. 2022 waren 165 Speaker:innen und rund 2000 Fachbesucher:innen vor Ort in Köln. insureNXT sucht nach branchenübergreifenden Lösungen, neuen Partnerschaften und Geschäftsmodellen, die die Herausforderungen der digitalen Transformation und des kulturellen Wandels in der Versicherungswirtschaft überwinden. Zusammen mit der Community aus etablierten Versicherungsunternehmen, Startups und Cross Industry-Partnern wollen wir den Weg für eine neue Generation von Versicherungsprodukten, innovativen Services und Geschäftsmodellen bereiten. insureNXT ist eine gemeinsame Veranstaltung des InsurLab Germany und der Koelnmesse. Die insureNXT 2023 findet am 26. und 27. April in Köln statt