Future Talk in St.Gallen

Wie Versicherer von Startups profitieren können

Ein Artikel von red | 20.02.2023 - 11:14
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Carsten Maschmeyer und Prof. Alexander Braun (v.l.n.r.)

"Mittwochs mach ich mal eine Stunde Innovation. Versicherer, die glauben, dass sie sich so weiterentwickeln können, werden scheitern”, prognostizierte der bekannte Investor und TV-Löwe Carsten Maschmeyer in seiner Keynote auf dem Future.Talk an der Universität St. Gallen, die auch digital live gestreamt wurde. Denn die Versicherungswirtschaft sei in Sachen Transformation und Digitalisierung nicht gerade eine Vorreiterbranche. Das liege auch daran, dass in Deutschland bisher deutlich weniger Geld in InsurTechs investiert werde als beispielsweise in den USA, Großbritannien oder Frankreich. Laut Maschmeyer ein Fehler, denn nur durch die Zusammenarbeit der etablierten Versicherern mit Startups - und zwar nicht nur als Dienstleister, sondern als Partner - blieben die Versicherer wettbewerbsfähig. „InsurTechs sind in der Regel Wenigkönner, aber in ihrer Nische sind sie Alleskönner und den klassischen Versicherern haushoch überlegen“, bilanzierte Maschmeyer im voll besetzten SQUARE, der neuen Bühne für konstruktiven Dialog an der Universität St. Gallen.

Auf dem Future.Talk, einer Kooperation der Kongressmesse insureNXT mit dem Institut für Versicherungswirtschaft an der Universität St. Gallen, ging Carsten Maschmeyer auch auf die kulturellen Unterschiede zwischen Versicherern und Startups ein: “Eine Mitarbeiterin eines Startups macht eine Woche Urlaub auf Mauritius und bleibt weitere drei Wochen dort, um von dort aus im Workation-Modus zu arbeiten. Und jetzt stellen sie sich das ganze Mal in einer der Personalabteilung einer Versicherung vor.” Gelächter im Auditorium in St. Gallen.    

Arbeitsergebnisse, so Maschmeyer, sollten wichtiger sein als Anwesenheiten, aber die Prämissen von New Work seien bei etablierten Versicherern meist noch nicht in voller Bandbreite angekommen. Dadurch riskierten sie im Wettbewerb um begehrte Spezialisten, dass diese andere Branchen oder moderner arbeitende Unternehmen bevorzugen. Versierte Tech-Profis, die man für Digitalisierung und Transformation dringend benötige, arbeiten zwar auch in den Versicherungen, allerdings “sind deren Kapazitäten oftmals mit dem Tagesgeschäft ausgeschöpft.”

Kooperationen mit Startups könnten, so Maschmeyer, daher die idealen Enabler für die Transformation im Unternehmen sein. Auch Prof. Alexander Braun, Direktor am Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen, sieht InsurTechs vor allem als Enabler für Versicherer. Lediglich ein kleiner Teil (etwa ein Fünftel) der InsurTechs sollte als “digitaler Angreifer”, also als neuer Wettbewerber für Vermittler und Versicherer, gesehen werden. Versicherer müssen heute ihre klassische Wertschöpfung transformieren, um einen höheren Automatisierungsgrad und einen bessere digitale sowie kundenzentrierte Ansprache zu erreichen.

Für den Gesamterfolg von Startups fasst Maschmeyer folgende Kriterien zusammen: Die Konzentration auf relevante KPIs und die drei Säulen Funding, Sales und Recruiting. Daran könnten sich auch Versicherungsunternehmen orientieren. Vor allem der letzte Punkt ist für Maschmeyer entscheidend: “Das Team ist das wichtigste Asset der Startups.” Besonders komplementäre Teams mit diversen Qualifikationen und Lust auf gemeinschaftliche Entwicklungen seien in der Lage, kreative Lösungsansätze zu finden und damit Innovationen voranzutreiben.

Trotz oder gerade aufgrund der hohen Inflation, der Energiekrise und der noch andauernden Pandemie ist der Investor überzeugt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt zum Investieren sei. In schwierigen Zeiten sei die Chance auf mehr Anteile umso höher. Der deutsche Markt hinke hier im Vergleich mit den USA extrem hinterher: Rund zehn Mal höhere Investitionen werden in den Staaten getätigt.

Der Markt brauche eine Lösung, die Venture Capital für die Versicherungsindustrie mit Versicherungen als Investor und Startups als Partner verbindet. Laut Maschmeyer gibt einen Hoffnungsschimmer am Horizont: Aus dem InsurLab Germany heraus wird ein neuer auf die Versicherungsbranche zugeschnittener Venture Capital Fonds aufgelegt, der in Zukunft Versicherungen ein Gemeinschaftsinvestment an den besten InsurTechs Europas bieten wird. Dadurch werden für alle Beteiligten erhebliche Mehrwerte geschaffen. Hier wird die Maschmeyer Group unterstützend für das InsurLab Germany aktiv: “Wir helfen einen neuen InsurTech Venture Capital Fonds aufzusetzen und diesen erfolgreich performen zu lassen”. So entsteht ein früher Zugang zu innovativen neuen Produkten, Services und Technologien, der einen Beitrag zu Geschäftsmodellinnovationen leisten wird.

Cases von Helvetia, UPTO und Baloise: Neue Investitionsstrategien, Plattformen und Ökosysteme

Thomas Lanfermann, Head of Non-Life Business bei Helvetia Deutschland, präsentierte eine Strategie zur Evaluation von passenden Partnerunternehmen und wichtige Eckpfeiler für die Zusammenarbeit mit InsurTechs. Helvetia Venture Funds investiert in Jungunternehmen, die den Vergleich und Verkauf von Versicherungsprodukten unterstützen. Diese Startups können den Kunden von Helvetia zusätzliche Services anbieten und eine neue Kundschaft erschließen. Bei “MyPass”, einem Unternehmen, das Skipässe ohne Schlangestehen anbietet, sind nun mit Hilfe von Helvetia auch Tages-Skiversicherungen über die Plattform möglich. Diese Brückenfunktion schafft eine Erweiterung der Wertschöpfungskette, von der beide Seiten profitieren. “Startups haben eine viel bessere Win-Win-Denke und partnerschaftliches Verständnis.” Deswegen arbeitet Lanfermann lieber mit ihnen als mit etablierten Unternehmen zusammen.

Mensur Jasari, CEO von UPTO, einem Tochterunternehmen von Axa, stellte ein Mobility Case vor, der sich ein digitalisiertes, voll umfängliches Flottenmanagement von KMUs zum Hauptgeschäft gemacht hat. Die Mission: einfache und gut zugängliche Mobilität als flexible und schnelle Alternative zum Leasing oder Kauf. Die Digital Fleet Tech Plattform agiert autark von Axa, aber mit Mitarbeiterbeteiligung und Nutzung der Vorteile des Mutterkonzerns. Im März 2020 ist UPTO gestartet - heute sind es schon 2200 verwaltete Fahrzeuge, davon 93 Prozent von Unternehmen.

Auch Patrick Wirth, Vice President im Bereich Ecosystem Mobility der Baloise Group, sieht das neue Geschäftsfeld der Versicherer bei Mobilitätsanbietern. Wichtig dabei ist zunächst die richtige Identifizierung von eigenen Assets der Versicherer, die dann mit den Möglichkeiten der InsurTechs verbunden werden. Die Baloise Group brachte zum Beispiel den größten Schweizer Leasinganbieter von Tesla-Fahrzeugen “Gowago” mit “Tronity”, einem Tool zur Analyse von Elektrofahrzeugdaten, zusammen.

Das Ergebnis: Tronity verkauft das Versicherungsprodukt der Baloise Group an das Leasingunternehmen, weil es ein Interesse an der Verbesserung seiner eigenen Daten hat. Jedes Jahr kommen auf diese Art und Weise drei bis vier neue Unternehmen in das Portfolio des Ecosystem Mobility bei Baloise dazu. Diese Vielzahl an Angeboten wird entsprechend möglicher Synergien in Ökosystem-Clustern geordnet, um die Angebote nach Kundenbedürfnissen auszurichten. Durch die Identifikation von individuell möglicher Anknüpfungspunkte untereinander, entstehen neue Kundenlösungen für den Versicherer. Diese “Bottom-up”-Strategie schafft den Aufbau eines eigenen Ökosystems mit neuen Chancen für das Versicherungsunternehmen. 

Fazit: Assets definieren - Synergien schaffen - Trends verfolgen

Paneldiskussion der Referenten mit Alexander Braun und Anna Kessler_Germany_Future.Talk_14.02.2023.jpg

Panel-Diskussion mit Prof. Alexander Braun und Anna Kessler, Ecosystem & Program Director des InsurLab Germany e.V..

Die große Chance liegt also in den Cross-Industry-Kooperationen: Einzelne Player aus der Startup-Szene werden verbunden, um deren Expertise mit den Assets der Versicherer zu verknüpfen. Dadurch werden Ökosysteme für neue Dienstleistungs- und Softwarelösungen geschaffen, die Potenzial für lukrative Geschäftsmodellinnovationen und neue Kundenzugänge bieten. Am besten funktioniert das momentan im Bereich der Mobilität - der Markt ist groß, dynamisch und nah an der Technologie.

Mit Blick in die Zukunft werden laut Einschätzung der vortragenden Experten, die Themen Klimawandel, Inflation und der osteuropäischer Einfluss noch mehr in den Fokus rücken.

Besonders der Klimawandel fordert Präventionsmodelle und auch bei InsurTechs spielen sie eine immer größere Rolle. In Deutschland war die verheerende Flutkatastrophe im Ahrtal ein ausschlaggebendes Beispiel für diesen Bedarf. „Hier müsste der Druck seitens der Politik höher werden, um die Relevanz der Präventionsangebote auf dem Markt zu steigern”, fordert Anna Kessler, Ecosystem & Program Director des InsurLab Germany e.V.

Die Themen aus dem Future.Talk werden auch auf der insureNXT am 26. und 27. April in Köln wieder aufgegriffen und weiter diskutiert. Zu den neuesten Entwicklungen zu Business Transformation wird Prof. Alexander Braun noch tiefgehender auf der Trendzone-Bühne sprechen. Zusätzlich werden weitere internationale Blickwinkel und Impulse, wie von Jonathan Larsen seitens Ping An, ergänzt und einem breiten Fachpublikum präsentiert.