Bühne frei für Weiterdenker

Ein Artikel von Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, Bestsellerautorin und Businesscoach. | 17.12.2020 - 06:29

Dringender als jemals zuvor benötigen die Unternehmen jetzt Ideengeber mit innovativen Gedanken, Mut und Tatendrang. Solche Menschen werden interne Quer- und Weiterdenker oder bisweilen auch Organisationsrebellen gekannt. Sie sind Freigeister, Wachrüttler, Infragesteller, Andersmacher, Vorwärtsbringer, Zukunftsgestalter. Sie sprühen vor Ideen, wie man das, was in die Jahre gekommen ist, besser machen könnte, sollte und müsste.

Sie reden Klartext, wenn sie Verfahrensweisen aufgespürt haben, die aus der Zeit gefallen sind. Sie zeigen auf alles, was für Kollegen und Kunden eine Zumutung ist. Sie sind offen für Fortschritt und treiben mit frischem Wind den Wandel voran. Sie wagen sich dorthin, wo noch niemand vor ihnen war. Sie kämpfen sogar gegen Windmühlen an. Und all das tun sie, weil ihre Firma ihnen wirklich am Herzen liegt.

Individualisierung, Emotionalisierung, Erlebnisse

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Autorin: Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen und Fachkongressen. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Vom Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie zur Top-Voice 2017/2018 und von Xing zum Spitzenwriter 2018 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager und zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.   

Früher hatten alle die gleiche Schallplatte, heute hat jeder seine ganz persönliche Playlist. Will heißen: Die Kunden von heute wollen keine Massenprodukte und Gleichmacherei, sondern Originalität, Unikate und zudem Varianz. Individualisierung, Emotionalisierung und Erlebnisse, auch Customer Experiences genannt, sind fortan die ganz großen Trends. Wer auf diese Kundenbedürfnisse eingeht, sorgt für Loyalität, für Weiterempfehlungen und für Aufpreisbereitschaft.

Will man sich also aus der Belanglosigkeit lösen, braucht es ständig neue Ideen – von Menschen, die außergewöhnliche Dinge denken und tun. Indem man einfallsreich die „Ideenfunken“ seiner internen Freigeister nutzt, macht man sich spannend – und damit begehrlich. Man kann gar nicht genug verrückte Ideen haben, um seine Kunden immer wieder neu zu betören. Und man braucht viele solcher Ideen. Denn nur, wer viel würfelt, der würfelt am Ende auch Sechser.

„Meine Mitarbeiter haben aber keine guten Ideen“, meinte neulich einer. Manche Obere glauben tatsächlich noch immer, sie müssten alles selbst am besten wissen und ihren Leuten sagen, wie die Dinge zu laufen haben. Sie können sich schlecht auf fremde Sichtweisen einlassen und nur schwer akzeptieren, wenn auch andere mit Einfällen glänzen. Dabei gelingt es am besten gemeinsam, Ideen zu entwickeln, die zuvor noch niemand hatte, und auf die man allein nicht gekommen wäre. Wenn genügend kluge Köpfe zusammenkommen, lässt sich jedes Problem lösen.

Im Rahmen einer Haufe-Studie wurden dazu knapp 12.000 Mitarbeiter aus Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt. Das Ergebnis:

·       84 % wünschen sich mehr Mitsprachemöglichkeiten bei operativen Entscheidungen,

·       77 % wären motivierter, wenn sie mehr einbezogen würden, und

·       73 % glauben, dass die eigene Firma erfolgreicher wäre, wenn sich die Mitarbeiter stärker einbringen könnten.

Mitarbeiter geben ihre Ideen aber nur dann preis, wenn sie glauben, dass diese Wertschätzung erfahren. Und wenn sie wissen, dass Fehler kein Beinbruch sind. Denn Fehler sind der Preis für Evolution und Innovation. Fehler machen bedeutet: Üben, um siegen zu lernen. Mit einer solchen Einstellung können bahnbrechende Erfolge gelingen. Schauen wir uns nun zwei konkrete Vorgehensweisen an, um das Vorankommen mithilfe quer- und weiterdenkender Mitarbeiter zu initiieren.

So stoßen Sie Verbesserungsmaßnahmen an

Wer Stimmungsbilder und Verbesserungspotenzial zeitnah einfangen will, braucht die richtigen Fragen. Versuchen Sie es doch mal mit der Sprechblasen-Methode. Die ist pfiffig und geht so: Man malt Sprechblasen, die sich gegenüberstehen, eine links und drei rechts. In die linke kommt eine ausgewählte Frage aus der folgenden Liste, die rechten sind leer, damit der Befragte seine Antworten dort einsetzen kann.

·       Die Goldstück-Frage: Welches sind die drei umsatzträchtigsten oder auch kostensparendsten Ideen, die Sie für uns hätten?

·       Die Sternenstaub-Frage: Welches sind Ihre drei verrücktesten/emotionalsten Ideen, die wir bei unseren Kunden umsetzen könnten?

·       Die Trüffelschwein-Frage: Welches sind die drei innovativsten Dinge, die wir schnellstmöglich einführen sollten?

·       Die Killer-Frage: Wenn es einen Sensemann gäbe, welches wären die drei Dinge, die er unbedingt dahinraffen müsste?

·       Die Ufo-Frage: Wenn Sie ein Außerirdischer wären, welche drei Dinge kämen Ihnen bei uns besonders merkwürdig vor?

·       Die Forum-Frage: Wenn wir ein Forum hätten mit dem Namen „Was bei uns total nervt“, welches wären die drei Hauptdiskussionspunkte?

·       Die Kaffeemaschinen-Frage: Wenn unsere Kaffeemaschine sprechen könnte, was würde ihr bei unserem Miteinander am meisten missfallen? Und was würde ihr am besten gefallen? (dazu zweimal drei Sprechblasen)

Diese Methode kann offen oder anonymisiert eingesetzt werden. Hierbei befragt man jeden Mitarbeiter einzeln - oder im Rahmen eines Meetings. Im zweiten Fall nutzt man eine Pinnwand zu diesem Zweck. Ungeschminkte Antworten können vieles ans Licht bringen, was man schon immer gerne wissen wollte. Womöglich wird man als Chef so endlich erfahren, was die eigentlichen Gründe für hartnäckige Probleme sind. Maßnahmenkataloge entstehen so fast wie von selbst. Passende Verbesserungsvorschläge werden am besten von den Mitarbeitern erarbeitet, um etwaige Defizite schnell und konstruktiv aus der Welt zu schaffen.

Dieser Ansatz hat etwas Verspieltes und fordert die Kreativität geradezu heraus. Allerdings können Scherzkekse oder gar zu Frustrierte damit auch ihr Unwesen treiben. Neben Ehrlichkeit muss bei dieser Methode deshalb folgende Regel gelten: Diskretion. Das formulieren Sie so: „Nur für interne Zwecke. Ziel dieser Aktion ist es, dass wir gemeinsam ein Hochleistungsteam werden.“

So starten Sie ein Entschlackungsprogramm

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Das Buch zum Thema

Um agiler, effizienter und innovativer zu werden, müssen zunächst die internen Altlasten weg. Überflüssige oder aus der Zeit gefallene Abläufe müssen eliminiert, komplizierte Prozesse vereinfacht und durch digitale Verfahren ersetzt werden. „Kill a stupid rule“ setzt genau an diesem Punkt an. Ursprünglich wurde diese Maßnahme von US-Banker Vernon Hill entwickelt, der damit an seine Mitarbeiter appellierte, kundenunfreundliche Abläufe aller Art schnellstmöglich aufzuspüren – und auf diese Weise auch Kosten zu sparen.

Die Methode ist geradezu ideal, um lähmenden, demotivierenden und/oder umsatzzerstörenden Ballast zu identifizieren und durch einfachere, zeitgemäßere Vorgehensweisen zu ersetzen. Viele Standards und Normen haben in der Vergangenheit gut gepasst, doch für die nahende Zukunft taugen sie nicht. Bisweilen gibt es sogar Regeln, die werden noch immer befolgt, obwohl die Person, die sie einst erlassen hat, schon lange nicht mehr da ist. Erteilen Sie ihren Leuten also eine „Licence to kill“, und zwar so:

„Kill a stupid rule!“ Von welchen untauglichen Standards, Regeln und Prozessen und von welchem administrativen Unsinn sollten wir uns schnellstmöglich trennen?

Im Rahmen eines Meetings bittet man die Anwesenden zunächst darum, innerhalb von zehn Minuten so viele „stupid rules“ wie nur möglich zu finden, auf Haftzettel oder Moderatorenkärtchen zu schreiben und an eine Pinnwand zu heften. Sie werden sich wundern, wie auf einmal die Funken sprühen und was so alles zusammenkommt. Ist die Sammlung komplett, wird eine Priorisierung vorgenommen. Danach machen sich Zweier-Teams an die Arbeit, um „stupid rules“ ganz zu streichen oder durch neue, agilere Vorgehensweisen zu ersetzen. Zum Start fängt man am besten dort an, wo sich am schnellsten etwas bewegen lässt. Dann hat man erste Erfolgserlebnisse - und bekommt Lust auf mehr.