„Unter Green IT versteht man Bestrebungen, die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnik über deren gesamten Lebenszyklus hinweg umwelt- und ressourcenschonend zu gestalten.“ So formuliert es der Brockhaus des Informationszeitalters, Wikipedia. Letztendlich lässt das viel Spielraum, was Unternehmen alles tun können, um sich in dieser Hinsicht grüner darzustellen.
So fällt unter Green IT technisch gesehen auch der Verzicht auf unnötige Ausdrucke mit höchster Auflösung in Farbe. Wer das 2023 aber noch als besondere Leistung zu verkaufen sucht, wird imagemäßig kaum einen grünen Blumentopf gewinnen. Im Gegenteil: Einfach nur zu machen, was ohnehin schon Standard ist, und das dann an die große Glocke hängen, würde sehr schnell Greenwash-Vorwürfe von Klimaaktivisten einbringen. Was leistet Ihr Institut also wirklich?
Hardware sinnvoll erneuern
Manche glauben ja, neue, umweltschonender produzierte und energieeffizientere Hardware ist ein Allheilmittel. Und verstehen Sie mich nicht falsch, sie ist grundsätzlich eine gute Idee – aber nur, wenn die Anschaffung auch wirklich durchdacht ist. Jetzt ein grünes Rechenzentrum aufbauen, in nur drei Jahren dann doch breit auf Infrastructure-as-a-Service und Green Cloud umstellen: Das würde zwar heute Image-Punkte bringen, dürfte dann aber eher doof, verschwenderisch und gar nicht so ideal für unseren Planeten aussehen.
In der Praxis wird das freilich kaum vorkommen. Welcher Finanzvorstand macht schon zwei Mal in so kurzer Zeit entsprechend große Summen locker? Doch illustriert das Beispiel: Nur, wer seine mittel- und langfristigen Anforderungen richtig versteht, kann wirklich nachhaltig investieren. Wichtig ist jedenfalls, den Inhouse-Bedarf nicht massiv zu überschätzen oder unnötig aufzublähen – was angesichts von Datenbergen, Data Lakes und Big Data wahrlich keine triviale Aufgabe ist. Dabei ist die Rechenleistung ein Knackpunkt in Sachen grüner IT.
Rechnet sich das Rechnen?
Mehr Rechenleistung ist gleich mehr Energieverbrauch. Deswegen ist die Bitcoin aufgrund des Proof-of-Work-Konsensverfahrens ökologisch gesehen im wahrsten Sinne des Wortes zu viel heiße Luft. Und deswegen stellt sich die Frage: In welchem Ausmaß kann Big Data wirklich grün sein? Denn noch mehr Daten für noch mehr Zwecke verarbeiten ist gleich mehr erforderliche Rechenleistung gleich mehr Energieverbrauch. Wann ist der Punkt erreicht, an dem hyperdetaillierte Information gesamtheitlich betrachtet gar nicht mehr genug bringen kann, um den damit verbundenen Energieverbrauch noch zu rechtfertigen? Eine schwierige Frage.
In Sachen Energieverbrauch ist auch die Frage: Wie energieeffizient ist Code? Die Studie „Ranking programming languages by energy efficiency“ (Pereira et al., Science of Computer Programming, Vol. 205, 2021) beleuchtet diese Frage – aber nur teilweise, so Jannik Harms, Lead Designer bei Sollers Consulting.
Kommentar von Jannik Harms, Lead Designer bei Sollers Consulting
Der Studie zufolge handelt es sich bei den energieeffizientesten Sprachen hauptsächlich um Low-Level-Sprachen (C, C++, Rust, Go), die in der Versicherungsbranche nicht verwendet werden, weil sie zu teuer in der Entwicklung und Wartung sind. In der Rangliste wurde nur die Effizienz der fertigen Software berücksichtigt, aber nicht berücksichtigt, wie effizient es ist, die Software zu erstellen und zu warten.
Die Sprachen, die für Geschäftsanwendungen verwendet werden – vor allem Java –, folgen auf dem nächsten Platz der Rangliste. Gosu, in dem das Versicherungskernsystem Guidewire geschrieben ist, ist nicht enthalten, aber nur, weil es eine Nischensprache für Versicherungen ist. Seine Energie-Effizienz ist die gleiche wie bei Java, d.h. ziemlich gut. Es besteht demnach kein Grund für Versicherer, die Guidewire nutzen, sich hier zu verstecken.
Nicht optimiert ist nicht optimal
Da wir schon beim Programmieren sind: Als allgemeine Faustregel gilt, dass weniger optimierter Programmcode auch mehr Energie verbraucht. Es darf also bezweifelt werden, dass Fachkräftemangel sowie Zeit- und Kostendruck in der Entwicklung geeignet sind, die IT grüner zu machen. Zudem wirft es die Frage auf, wie gut die Entwicklungsansätze Low Code und No Code rein ökologisch gesehen überhaupt sein können.
„Es liegen unterschiedliche Sprachen als Basis von Low Code Lösungen vor. Die Energieeffizienz ist entsprechend gleichartig zu bewerten“, meint dazu Jannik Harms, Lead Designer bei Sollers Consulting. Ist die Basis eine Skriptsprache (Python, Ruby, Perl), wird die Energieeffizienz also relativ schlecht ausfallen. „Negativen Einfluss hat die Wiederverwendung von Modulen“, so Harms weiter. Denn Module seien nicht auf Effizienz ausgerichtet und Datenbankabfragen oft nicht optimiert.
Freilich könnte man jetzt sagen: Solange die genutzte Energie nachhaltige Energie ist, ist der Stromverbrauch der IT und damit die Energieeffizienz des Codes doch kein Problem. Doch das wäre reichlich kurz gegriffen. Immerhin ist unnötiger Energieverbrauch auch ökonomisch gesehen unverantwortlich – und ökologisch verantwortungsvoll wäre das Verbrauchsprofil „total ineffizient unnötig viel“ ganz sicher nicht.
Schlechte Quellen, schlechte Speicher
So dürften gerade jüngere Generationen es eher kritisch sehen, falls ein Institut einen übertrieben hohen IT-Strombedarf unter Berufung auf die EU-Taxonomie durch nachhaltiges Gas und Atomenergie deckt. Ich wage sogar zu sagen: Wer da nicht mit massiven Greenwashing-Vorwürfen sämtlicher Umweltschutzorganisationen rechnet, sollte vermutlich zu bestimmten Energiekonzernen oder am besten direkt in die EU-Politik wechseln.
Vielen Öko-Energiequellen von Sonne über Wind bis hin zu Gezeiten und Wellen ist indes gemein, dass sie nur zu bestimmten, teils kaum vorhersehbaren Zeiten Strom liefern. Somit sind Zwischenspeicher zwingend erforderlich. Der derzeitige Speicher-Goldstandard, der Lithium-Ionen-Akku, hat aber aufgrund der Bedingungen beim Rohstoffabbau und teils langer Transportwege keine sehr gute Öko-Bilanz. In Sachen nachhaltiger Speichertechnologien ist also Luft nach oben. Gerade Banken müssen darauf gefasst sein auch danach beurteilt zu werden, ob sie Investitionen in entsprechende Lösungen riskieren oder nicht – insbesondere, falls sie sich ihre Green IT auf die Fahnen schreiben wollen.
Grün allein reicht nicht
Ein möglicher Fallstrick beim Thema Green IT ist auch, diese allzu sehr als Insel zu betrachten. Denn Nachhaltigkeit bedeutet heute Environmental, Social, Governance (ESG). In diesem Kontext nutzt auch die grünste IT wenig, wenn die öffentliche Meinung spätestens beim S erst wieder in den Keller geht. Der energieeffizienteste Code der Welt wäre also Image-problematisch, falls er unter katastrophalen Arbeitsbedingungen irgendwo in Südostasien entstanden ist. Der aktuelle Branchentrend zu Nearshoring statt Offshoring könnte in dieser Hinsicht positive Nebeneffekte haben.
Jedenfalls: Lassen Sie Green IT nicht zum PR-Schlagwort verkommen! Das könnte nämlich nach hinten losgehen – auch und gerade, wenn Sie eigentlich auf einem guten Weg, aber noch nicht ganz am Ziel, sind.