68 Prozent der Anbieter arbeiten bereits mit der Cloud. Weitere 29 Prozent verabschieden sich schon bald davon, ihre IT-Infrastruktur komplett selbst vorzuhalten. Rechenleistung aus dem Netz abzurufen, gilt inzwischen als normal. Was jedoch fehlt, ist der richtige architektonische Unterbau, um möglichst viel aus der Wolke herauszuholen. Eine aktuelle Studie von Lünendonk, an der sich Senacor beteiligt hat, zeigt aber, dass die Assekuranzen ihr Geld lieber für andere Dinge ausgeben wollen als eine starke IT-Plattform. Das kann sich rächen.
Versicherern droht Business-Lockout
Die globale IT entwickelt sich derzeit in eine Richtung, in der sich viele Dienste bevorzugt oder ausschließlich nur noch aus der Cloud beziehen lassen. Sie sind „cloud-native“ und wer sie nutzen oder integrieren will, braucht einen dazu passenden Client oder eine Schnittstelle (API). Je mehr und je einfacher sich zusätzliche APIs anbinden lassen, desto eher lässt sich Software verwenden, die etwa ein Versicherer von außen zukaufen möchte. Umgekehrt ermöglichen diese APIs auch erst, mit noch vertretbarem Aufwand eigene Angebote oder Dienste woanders einzuspielen. Wer sich online einen neuen Fernseher kauft, möchte vielleicht eine längere Garantie abschließen, und wer eine Reise bucht, vielleicht eine Versicherung für den Reiserücktritt.
Jede dieser Aktivitäten sorgt dafür, dass immer mehr Daten aus immer mehr Quellen in die IT der Versicherer einfließen – oder von dort weg. Dabei kommt es besonders auf zwei Kriterien an, die vor allem die Backend-IT erfüllen muss, damit der Datenverkehr effizient und effektiv läuft. Erstens leicht zugängliche Schnittstellen, mit modernen Protokollen, die sich flexibel anpassen und so für unterschiedliche Partner und Produkte nutzen lassen. Und zweitens ein Datenhaushalt, der Daten in Real- oder zumindest Near-Time von diesen Schnittstellen abholen und auch an sie ausliefern kann. Beides setzt voraus, dass die Datenautobahn auch intern gut orchestriert ist, etwa zu den CRM-, Bestands- und Schadensystemen.
Ausgerechnet APIs und dazugehörige Services, wie SOA oder SCS, die für eine moderne IT-Architektur stehen, befinden sich erst sehr weit unten auf dem Einkaufszettel. Obwohl die Digitalbudgets in den nächsten zwei Jahren bereits kräftig steigen sollen, teilweise um mehr als zehn Prozent, bleibt zu wenig für die Backend-Systeme übrig. 82 Prozent der Versicherer wollen digitale Technologien nutzen, um Geschäfts- und IT-Abläufe zu verbessern, die schon da sind. Zwei Drittel setzen auf Gimmicks wie Sprachassistenten und mehr Apps. 63 Prozent wollen damit beginnen, aus Daten Mehrwertdienste zu entwickeln, die bestehende Produkte und Dienste ergänzen. Nur etwas mehr als die Hälfte aber blickt darauf, wo und wie die Daten später zusammenlaufen.
Widersprüchliche Plattformideen
Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei den Plattformen im Sinne digitaler Ökosysteme ab. Fast 90 Prozent der Versicherer schätzen Plattformen als relevant ein und wissen auch bereits, wie sie sich positionieren wollen. 72 Prozent setzen auf einen eigenen Zugang zum Kunden und planen, eigene B2C-Plattformen zu betreiben und andere Anbieter huckepack zu nehmen, um so die Kundenschnittstelle zu behalten. 32 Prozent sehen sich eher in der Rolle eines Lieferanten, der Produkte und Dienste bereitstellt – oder beides, da sich die Befragten in dieser Frage nicht festlegen mussten, sondern beide Varianten möglich waren anzugeben.
Geld planen die Plattformanbieter in spe trotzdem kaum ein. Gerade mal zehn Prozent spüren überhaupt erhöhten Druck, sich hier finanziell stärker einzubringen. Auch mit Blick auf die kommenden vier Jahre bis 2025 scheint sich das nicht wesentlich zu ändern. Nur etwas mehr als die Hälfte der Anbieter hält den Trend zu digitalen Plattformen in der eigenen Branche für herausfordernd und obwohl ihnen die Kundenschnittstelle so wichtig ist, sehen nur vier von zehn Versicherern darin einen Grund zum Handeln. Viele dürften schlicht noch nicht wissen, was sie später genau tun wollen. Doch wie schon bei der Cloud, geht es in erster Linie darum, die eigene IT so aufzustellen, dass der Trend nicht an den Häusern vorbeigeht.
Die Gefahr besteht derzeit weniger darin, etwas komplett zu verpassen, sondern sich durch Legacy-IT selbst auszuschließen von künftigen Entwicklungen. Viele Versicherer haben das ja schon selbst erlebt, weil sie etwa Makler-Anwendungen, Self-Service Kundenportale und von Insurtechs entwickelte Frontends anzubinden versuchten – und gescheitert sind, weil sich diese Anbauten schwer oder gar nicht integrieren ließen. Strategisch lautet die drängende Frage also nicht, was die Versicherer ab morgen in der Cloud oder auf einer Plattform machen, sondern ob sie „cloud-ready“ und „platform-ready“ sind, wenn es losgeht. Und diese Readiness hängt maßgeblich von der eigenen IT-Plattform ab und nicht von Frontends wie Webseiten oder Apps.
Fahrwerk statt Chassis austauschen
Cloud und Plattformen sind für die Versicherer wie Elektromotoren für Automobilhersteller – über kurz oder lang müssen die Anbieter ihre Plattform austauschen, auch wenn das zunächst nur Geld kostet und noch keins einbringt. In der Praxis führt jedoch kein Weg mehr daran vorbei, zumindest die API-relevanten Teile des Stacks in eine cloudfähige, moderne Architektur zu bringen. Dazu gehören von vornherein durchgängig digitale Prozesse, statt kosmetischer Änderungen, die sich nur auf einzelne Teile des gesamten Stacks beziehen. Ohnehin sind die meisten Anbieter an einem Punkt angelangt, an dem isolierte oder punktuelle IT-Eingriffe zwar einen Gewinn auf der einen Seite bedeuten, andere Abläufe dadurch aber komplexer machen.
Anders ausgedrückt: die bestehende Legacy-IT ist architektonisch nicht mehr nur bloß überholt, sondern am Ende ihres Lebenszyklus angekommen. Netflix oder Disney wären aufgeschmissen, würden sie die vielen tausend Kunden, die sich jeden Tag für ihre Streamingdienste anmelden, mit den gleichen IT-Architekturen bearbeiten, mit denen Versicherungen heute ihr Geschäft abbilden. 58 Prozent der Führungskräfte in der Assekuranz glauben dennoch, dass die im Unternehmen eingesetzten Technologien ausreichen, um ihre Digitalstrategien umzusetzen. 40 Prozent pflichten dem zumindest teilweise bei. Dieser gedanklichen Falle müssen die Versicherer entkommen.
Digital Outlook 2025: Financial Services
An der Lünendonk-Studie haben sich 129 Vorstände, CIOs, COOs sowie Bereichsleiter und IT-Verantwortliche aus Banken und Versicherungen beteiligt. 60 Teilnehmer stammen aus der Versicherungswirtschaft. Die Studie ist kostenfrei verfügbar unter: https://senacor.com/digital-outlook-2025