Ein Jahr Corona – was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Veränderungen bei Call-Centern?
Michael Hohenbild (DB Direkt): Corona hat den Alltag der Menschen bei der Erledigung ihrer täglichen Bankgeschäfte merklich verändert. Auch aufgrund der vorübergehenden Schließung einzelner Filialen haben deutlich mehr Kunden über digitale Kanäle oder das Telefon Kontakt zur Bank aufgenommen. Insofern verzeichneten wir mehr Anrufe als üblich. Das zeigt: Der persönliche Kontakt zur Bank per Telefon bleibt für die Kunden sehr wichtig. Die Digitalisierung von Prozessen ist erklärtes Ziel der Deutschen Bank. Wir haben sie in den vergangenen Monaten daher konsequent fortgeführt. Dazu gehört natürlich auch die Digitalisierung in der DB Direkt. Chatbots sind für bestimmte Anwendungen ein durchaus hilfreiches Instrument. Letztendlich entscheidet der Kunde jedoch selbst, ob er sie nutzen möchte. Unsere Erfahrung ist, dass die Kunden weiterhin den persönlichen Kontakt sehr schätzen. Dabei ist es wichtig, dass alle Zugangswege zur Bank optimal vernetzt sind und für den Kunden alle Informationen auf jedem Kanal zur Verfügung stehen - ob nun in der Filiale, per Videoberatung in den Regionalen Beratungscentern, am Telefon, in der App oder über Social Media. Corona hat dem Omnikanal-Konzept einen deutlichen Schub verliehen. Viele Kunden haben gute Erfahrung mit den alternativen Zugangswegen gemacht und wollen diese auch in Zukunft nutzen. Dennoch bleibt auch in der stärker digitalisierten Welt der persönliche Austausch mit dem Bankberater sehr wichtig.“
Ellen Sennecke (Signal Iduna): Durch die Verlagerung der Arbeitsplätze in das Homeoffice hat sich insbesondere der Arbeitsalltag für unsere Mitarbeitenden deutlich verändert. Mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung und noch weiter gesteigerter Flexibilität haben unsere Mitarbeitenden diese neue Situation eindrucksvoll angenommen, sodass für unsere Kundinnen und Kunden weiterhin ein sehr guter Service sichergestellt wurde. Digitale Meeting-Formate wurden ausprobiert, immer wieder verfeinert und dann für die Teams passend etabliert. So und mit regelmäßigen Skype-Calls der Teamleiter mit ihren einzelnen Mitarbeitenden wurde „Führen auf Distanz“ gelebt. Mitarbeitende brauchen eine Bindung und Begleitung in strukturierter Form, um Top-Service leisten zu können.
Jürgen Fuchs (DEVK): 80 Prozent der Mitarbeitenden des Unternehmens arbeiten von zu Hause. So verhält es sich durch Corona auch bei den Mitarbeitenden des Zentralen Service Center (ZSC). Die technischen Voraussetzungen sind gegeben und die DEVK konnte den Großteil so schnell wie möglich mit Hard- und Software ausstatten. Außerdem sind die Service Levels und die Produktionsparameter weiterhin gut. Die Mitarbeitenden wurden und werden fortan für das Arbeiten von zu Hause geschult, damit mögliche Defizite schnell und effektiv ausgebessert werden können.
Durch die Umstellung auf Remote – und Homeoffice blieben oftmals andere Digitalisierungsprojekte auf der Strecke. War das bei Ihnen auch der Fall und wie sieht Ihre Agenda für dieses Jahr aus?
Ellen Sennecke (Signal Iduna): Im Gegenteil, wir haben trotz beziehungsweise auch aufgrund der Corona-Pandemie unser Transformationsprogramm weiter vorangetrieben und haben mit dem Beginn der Agilisierung unserer Unternehmensstrukturen den entscheidenden und logischen nächsten Schritt gemacht. Damit einhergehen auch diverse Digitalisierungsprojekte im Innen- und Außendienst. In diesem Jahr wollen wir die Transformation der Signal Iduna und die damit verbundenen Maßnahmen in Rahmen von „Agile@SI“ konsequent weiter verfolgen und die nächsten Unternehmensteile schrittweise in agile Strukturen überführen.
Tobias Becker (LogMeIn): Aufgrund unserer Praxiserfahrung und vielen Studien sehen wir hier den Fokus bei der IT-Sicherheit, die durch die offeneren Strukturen von Remote-Work und Homeoffice erhöhte Aufmerksamkeit erhält. Hier beschäftigen sich Unternehmen mit Themen wie Identity- und Acessmanagement (IAM) und Passwortmanagement. Es geht darum, erhöhte Sicherheit zu schaffen und zugleich trotzdem das Nutzererlebnis der Remote-Worker angenehm zu gestalten. Aber auch hier muss man die KI-gestützten Lösungen im Service erwähnen, denn die Verbesserung dieser Strukturen sind ein entscheidendes Differenzierungskriterium auch für Finanzdienstleister geworden: In der Online-Welt kommen diejenigen Kunden wieder, die ein reibungsloses und angenehmes Nutzungserlebnis haben.
Jürgen Fuchs (DEVK): Die ZSC-spezifischen Projekte konnte die DEVK wie geplant durchführen. Hier wurden keine Projekte verschoben.
„Dank Corona“: Flexibles Homeoffice statt Präsenzpflicht
Die Pandemie hat Homeoffice dort möglich gemacht, wo vorher starre Präsenzpflicht herrschte. Und sie hat die wachsende Bedeutungslosigkeit der klassischen Filiale beschleunigt. Viele Banken haben diese plötzliche Bereitschaft zur Veränderung genutzt, Kundenkontaktpunkte und Arbeitswelt grundsätzlich zu hinterfragen. Neben neuen Filialkonzepten werden wir in den nächsten Monaten auch neue Arbeitsformen erleben: Redesign Work ist das Thema – und das an allen Arbeitsorten von der Zentrale bis zum Homeoffice.
Was halten Sie von Chatbots in Call-Centern?
Tobias Becker (LogMeIn): Aufgrund der pandemiebedingten erhöhten Nachfrage auch bei uns das hauptsächliche Augenmerk auf der Verbesserung von Self-Service Angeboten in Pre- und After-Sales, die wir heute mit einer neuen Generation von KI-gestützten Chatbots realisieren können. Interessenten und Kunden lieben die Möglichkeit, ihre Anfragen mithilfe eines Chatbots selbst lösen zu können und somit lange Warteschleifen zu vermeiden. Umfassende KI-gestützte Lösungen liefern an dieser Stelle überzeugende automatisierte Hilfestellung beim Auffinden der richtigen Produkte oder der Beantwortung von FAQ‘s. Andererseits werden so Agenten entlastet, und können sich mit komplexeren Kundenanfragen auseinandersetzen.
Ellen Sennecke (Signal Iduna): Das wollen wir ausprobieren und abhängig von den Kundenreaktionen ausbauen und nutzen.
Jürgen Fuchs (DEVK): Chatbots eignen sich für die Abläufe im ZSC der DEVK nicht, da häufig nur wenig standarisierte Geschäftsvorfälle ankommen.
"Flexibilität und Agilität sind nicht von physischen Rahmenbedingungen abhängig"
Corona hat unsere Sicht auf die Zukunft des Kundenservices nachhaltig beeinflusst und vor allem eine These untermauert: Flexibilität und Agilität sind weit weniger von „physischen“ Rahmenbedingungen abhängig. Bei BFS haben wir in Rekordzeit nahezu die gesamte Serviceorganisation präventiv ins Homeoffice verlagert – und das im laufenden Betrieb. Agilität bedeutet allerdings nicht nur Geschwindigkeit und Flexibilität in der Umsetzung. Sie beschreibt vor allem eine Haltung, die Exzellenz und Qualität befeuert. Ich überzeugt davon, dass zukunftsweisender Kundenservice künftig dort entsteht, wo sich diese Haltung entfalten kann und Veränderungen mutig zugelassen werden.
Und durch die Umstellung auf Remote – und Homeoffice blieben oftmals andere Digitalisierungsprojekte auf der Strecke. Was kommt Ihrer Meinung nach in diesem Jahr am ehesten auf die Agenda bei Banken und Versicherungen?
Wir beobachten, dass Kunden immer autonomer werden und viele Services selbstständig übernehmen wollen. Dieser Trend macht auch vor Banken und Versicherungen nicht halt. Automatisierung von Services steht ganz oben auf der Agenda. Denn gerade bei immer wiederkehrenden Anfragen macht es Sinn, Prozesse zu vereinfachen und kundenfreundlich zu gestalten. Ein gutes Beispiel ist hier die Online-Terminierung. Für die Nutzer ist es komfortabler sich einen Termin bei seinem Berater oder seiner Betreuerin per 1-Click online „zu buchen“, als umständlich eine E-Mail zu schreiben oder zum „Hörer“ greifen zu müssen. Wir, als Customer Service Spezialist, helfen unseren Mandanten gerne bei dieser Entwicklung und analysieren, welche Kundenanliegen im Service Center bearbeitet werden sollten und wie eine umfassende Problemlösung für die Kundschaft aussehen muss.
Call Center können gar nicht anders, als das Angebot auf mehrere Kanäle auszuweiten und damit Kunden eine „Omnikanal” Erfahrung anzubieten. Wie sieht bei Ihnen eine gute Omnikanal-Erfahrung aus?
Ellen Sennecke (Signal Iduna): Wir erweitern unser Angebot bereits auf mehrere Kanäle. So bieten wir nicht nur eine telefonische Erreichbarkeit und unser Online-Portal an, sondern unsere Kunden können zum Beispiel auch die „meine Signal Iduna“-App zur Einreichung von Rechnungen oder unseren Bescheinigungsservice für die Beantragung von Bescheinigungen rund um ihre bestehenden Versicherungsverträge bei der Signal Iduna Gruppe nutzen.
Eine gute Omnikanalerfahrung im Service definieren wir anhand verschiedener die Prinzipien. Hierzu gehören unter anderem die freie Wahl des Eingangskanals (mit Einschränkungen je nach Produktart) für die Kunden, das Selbstverständnis als Serviceanbieter und nicht als Vertreter von Produktsparten, die konsequente Orientierung an den Bedürfnissen des Kunden sowie das aktive Fragen nach Feedback, um uns stets zu verbessern.
Uns ist es darüber hinaus wichtig, dass der Kunde mithilfe unserer Services transaktionale Anliegen automationsgestützt, schnell und einfach selbst erledigen kann.
Nicht jede Anfrage kann unkompliziert in einer Chat Session gelöst werden
Diana Schröter, Contact Center Spezialistin bei Twilio, das eine Cloud-Kommunikationsplattform as a Service anbietet
Corona kann hier durchaus als Beschleuniger in der Entwicklung von Contact Centern gesehen werden. Inzwischen gibt es kaum noch ein Finanzinstitut oder eine Versicherungsgesellschaft, welche die digitalen Kanäle auslässt und sich rein auf die physischen Filialen konzentriert. Vor allem bei den klassischen Unternehmen der Branche zeigt sich, und das auch nicht erst seit letztem Jahr, der Wandel hin zum Digitalen. Bei den digitalen Start-Ups und Fintechs liegt die Entwicklung durch die Pandemie eher in Anpassungen an den angebotenen Kanälen und dem höheren Volumen, mit dem sie arbeiten.Zwar liegt der Trend nach wie vor auf digitalen Kommunikationskanälen. Im vergangenen Jahr zeigte sich allerdings immer wieder: nicht jede Anfrage kann unkompliziert in einer Chat Session gelöst werden. Das Volumen der Anfragen, die menschlichen Support benötigen, steigt deshalb wieder, was wohl durchaus auch an den Herausforderungen, die Kunden durch die Pandemie meistern mussten, liegen kann. Mehr Einsatz von Seiten der Mitarbeiter ist allerdings im Umkehrschluss mit höheren Kosten für die Unternehmen verbunden.
Und durch die Umstellung auf Remote – und Homeoffice blieben oftmals andere Digitalisierungsprojekte auf der Strecke. War kommt Ihrer Meinung nach in diesem Jahr am ehesten auf die Agenda bei Banken und Versicherungen?
Die schnelle Umstellung auf Remote-Work war im vergangenen Jahr ein Priorisierungsthema. An erster Stelle stand, dass die Belegschaft möglichst schnell beginnen konnte, von zu Hause zu arbeiten. Dabei wurde eine Vernetzung von bestehender und neuer Software vorerst außer Acht gelassen. Um in Zukunft noch effizienter von überall arbeiten zu können, werden Unternehmen weiterhin in den Ausbau und die Vernetzung ihrer Software investieren. Des weiteren steht sowohl bei Finanzinstituten als auch bei Versicherungen die Entwicklung und Implementierung einer teil- oder sogar vollautomatisierten Anfragenannahme auf der To Do-Liste für ihre Contact-Center. Dies ganz mit Hilfe von eher einfacher Software, die entlang Entscheidungsbäumen dem Kunden hilft, oder unter Einsatz von künstlicher Intelligenz, die es zu trainieren und kontinuierlich auf- und auszubauen gilt. Die proaktive Kundenansprache oder die Weiterleitung eines Anrufs beispielsweise, ist heute schon sehr einfach lösbar. Sollen Anfragen angenommen, verstanden, ausgelesen, klassifiziert und im Idealfall an die passende Abteilung weitergeleitet werden, bedarf es wesentlich mehr Intelligenz. Der nächste große Schritt hier wäre, mit Hilfe von KI bei eingehenden Anfragen direkt konkrete Handlungen ableiten zu können – und das sowohl bei schriftlichen als auch bei telefonischen Anfragen.
Die Gesundheit der Mitarbeiter besser schützen!
Die Gesundheit der Mitarbeiter besser schützen! Dieses Thema hat durch Corona nochmal an Bedeutung gewonnen und wird viele Unternehmen beschäftigen.
Für den Schutz vor Atemwegsinfektionen aber auch für die Stimme spielt das Raumklima eine große Rolle. Hier können Banken und Versicherungen noch viel Verbesserungspotential nutzen.