Ein interessantes Beispiel, das auch das Bankenwesen ein Stück weit umgekrempelt hat, ist das Kundenverhalten bei Service-Anfragen und Beratungsgesprächen. Hier haben die Call-Center einen enormen Aufschwung erlebt, der Direktkontakt Kunde – Dienstleister konnte damit elegant vermieden werden, ohne an Qualität zu verlieren. Wir wollten es genauer wissen und haben einige Serviceanbieter, die ein Call-Center betreiben, zu ihren Eindrücken und Erfahrungen befragt, wie Corona die Arbeit in den Call-Centern verändert hat.
Es gibt Gewinner und Verlierer
Benjamin Barnack, Vorstand Mitglieder & Neue Medien im Call Center Verband Deutschland e. V. (CCV), Mitglied der Geschäftsleitung, gevekom
Ende Januar erreichte das Corona-Virus Deutschland. Anfang März folgten die ersten Einschränkungen für das öffentliche Leben und der Lockdown betraf schließlich Betriebe aller Branchen. Contact Center rollten flächendeckend Home-Office-Konzepte aus und Maßnahmen zum Infektionsschutz wurden erarbeitet. Auch das Kommunikationsverhalten der Kunden veränderte sich. Zwei Beispiele aus der Praxis: Travel -- Bedingt durch die Einschränkungen konnten Kunden ihren Urlaub nicht antreten. Dies führte bei Anbietern und Vermittlern dazu, dass die Contact Center erst mit Anfragen verunsicherter Urlauber und dann mit Stornierungen überrannt wurden. Darauf folgte der absolute Stillstand - viele können oder wollen keine neuen Reisen buchen.
Handel & E-Commerce -- Der Lockdown hat auch den Einzelhandel eingeschränkt. Die Kunden bleiben zu Hause, Einkäufe werden vermehrt online erledigt. Lieferdienste und Versandhändler erleben einen Boom, einige verzeichnen Wachstum von bis zu 1000 Prozent. Doch die Unsicherheit der Kunden führt zu einem deutlich höheren Volumen im Kundenservice. Der Call Center Verband Deutschland e. V. (CCV) hat hierzu im Juli 2020 eine repräsentative Umfrage mit über 80 Callcenter-Unternehmen durchgeführt.
Vor dem Ausbruch der Pandemie setzten 42 Prozent der befragten Unternehmen noch kein Home-Office-Konzept um, rund zehn Prozent hatten solch einen Ansatz in Planung. Zu Beginn der Pandemie hatten 39 Prozent der Unternehmen über 90 Prozent der Mitarbeitenden im Home-Office. Anfang Juli beschäftigten 72 Prozent noch über 70 Prozent ihrer Mitarbeitenden im Home-Office und 28 Prozent werden zukünftig ihre Mitarbeitenden dauerhaft dort einsetzen. Nur fünf Prozent der Contact Center planen, wieder vollständig in die Center zurückkehren. Die neue Arbeitswelt hat für viele Unternehmen auch einen Einfluss auf die Performance und die Kennzahlen. So gaben 29 Prozent an, dass die Produktivität der Mitarbeitenden im Home-Office sogar stieg. Etwa 46 Prozent stellten fest, dass der Krankenstand gesunken ist. Bei keinem der befragten Unternehmen stieg dieser, bei 54 Prozent verblieb der Krankenstand auf unveränderten Niveau. Bedingt durch die veränderte Situation am Markt mussten viele Callcenter ihre Ressourcen anpassen, 36 Prozent gaben sogar Ressourcenreduzierung an.
Die Pandemie bringt Gewinner und Verlierer der Krise hervor. Was allen Unternehmen inne wohnt - die Arbeitswelten werden sich nachhaltig verändern.
Starker Anfragenzuwachs auf allen Kanälen
Wir sind als Kundencenter der Commerzbank rund um die Uhr der zentrale und digital-persönliche Ansprechpartner für unsere Kunden. Aktuell verzeichnen wir gut 20 Prozent mehr Anrufe, rund 70 Prozent mehr E-Mails, 100 Prozent mehr Anfragen im Serviceportal und ein sattes Plus bei Anfragen über Social Media. Was wir in den vergangenen Jahren vor allem im automatisierten Kundendialog aufgebaut haben, macht sich jetzt bezahlt. Durch die Kopplung mit unseren digitalen Angeboten stellen wir für unseren Kunden eine hohe Erreichbarkeit und einen persönlichen Kontakt für sein Anliegen sicher. Persönlich und digital im Kundendialog ist bei uns Realität. Intern sind digitale Aus- und Weiterbildungen Standard geworden. Rekrutiert wird ausschließlich per Video. Die aktuelle Situation beweist: Auf Veränderungen muss man sich offen, schnell und dynamisch einstellen. Wir werden einige Vorgehensweisen weiter nutzen und ausbauen, um auch in Zukunft direkt passende Lösungen für unsere Kunden zu finden.
Home-Office wird salonfähig
Corona hat die Arbeit im Call-Center positiv verändert. Vor ein paar Monaten hätte noch keiner geglaubt, dass die meisten Präsenz-Arbeitsplätze in der vertrieblichen Telefonie auf mobiles Arbeiten umgestellt werden können. Mit den Corona-Maßnahmen im Konzern wurde „Home-Office“ sozusagen über Nacht zur wichtigsten Maßnahme, um Business Kontinuität zu gewährleisten. Etwa 80 Prozent der Kundenberater wurden innerhalb kürzester Zeit in die Lage versetzt, Ihre Arbeit von zu Hause aus zu erledigen. Vor allem das Commitment und die Flexibilität unserer Mitarbeiter, die diese fast überfallartige Veränderung ihrer Arbeitsgewohnheiten konsequent und unter Einhaltung unserer Service Levels mittragen, zeigen, wie sehr gerade jetzt alle an einem Strang ziehen. Wir erleben aktuell sehr gute Erreichbarkeiten unserer Call-Center und die neuesten Messungen bestätigen weiterhin eine sehr hohe Kundenzufriedenheit. Das sind wichtige Erkenntnisse für unsere Überlegungen auch für die Zukunft.
Anpassung des Kundendialogs
Wir mussten uns schnell und pragmatisch auf eine völlig neue, unbekannte Situation einstellen. Es ging darum, größtmögliche Sicherheit für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu garantieren und dabei die bestmögliche Erreichbarkeit für den Kunden zu gewährleisten. In kurzer Zeit haben wir es geschafft, unseren Kundendialog flexibel an die neue Situation anzupassen mit Mitarbeitern vor Ort und Mitarbeitern, die von zu Hause aus telefonieren. Die Kolleginnen und Kollegen waren am heimischen Schreibtisch technisch schnell startklar und für unsere Kunden da. Durch den so frei gewordenen Platz in der Bank konnten die Kolleginnen und Kollegen vor Ort die Abstandsvorgaben gut umsetzen. Dieser Modus hat sich als sehr effizient herausgestellt. Das ist ein wichtiges Learning für uns, und vielleicht auch für andere: Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie viel Flexibilität bei gleichbleibender Effizienz möglich ist.
Schnelle Schulung für Mitarbeiter
Grundsätzlich arbeitet Zurich schon seit einiger Zeit mit verschiedenen Office-Modellen, die flexibles Arbeiten ermöglichen. Eine Ausweitung war auch für die Call-Center angedacht, die Corona-Krise hat dem ganzen nun noch einen enormen Schub gegeben. Sie hat gezeigt, dass es möglich ist, ein traditionelles Präsenz-Modell mit Echtzeit-Steuerung und sehr enger Führung schnell in ein flexibles Modell mit digitaler Steuerung und einem Mehr an Vertrauen zu wandeln. Zusätzlich dazu stand Zurich vor der Herausforderung, das gesamte Call-Center fähig für working@home zu machen. Alle Call-Agents bekamen nach und nach Laptops und Schnellschulungen in den diversen Kommunikationstools. So konnte der operative Betrieb stets aufrechterhalten und die Mitarbeitenden je nach Risikogruppe optimal geschützt werden. Eine Herausforderung waren dann auch Einstellungsprozesse und Schulungsprozesse. Wir haben Bewerbungsgespräche komplett auf Videotelefonie umgestellt und auch für Schulungen Konzepte entwickelt, um diese digital stattfinden zu lassen.
Zeitgemäße Alternative zur Filialberatung
Wir erleben bereits seit einiger Zeit, dass die Regionalbanken die bisherigen „KundenServiceCenter“ (KSC) in sog. „KundenDialogCenter“ (KDC) überführen. Der wesentliche Unterschied dabei ist, dass in einem KDC neben den reinen Serviceanliegen auch Beratungsgespräche geführt werden können. In der Regel arbeiten diese Online-Filialen mit Desktop-Sharing, was uns sehr gut gefällt, weil es damit möglich ist, dass die Kunden mit der gleichen Beratungssoftware beraten werden, wie sie es beispielsweise zuvor in der Filiale erlebt haben.
In der Hochphase von Corona waren sowohl die Filialschließungen als auch die aufkommende Zahl an Beratungsbedarfen (von der bevorstehenden Kurzarbeit hin zu den Veränderungen in den Depots) ursächlich für die spürbar zunehmende Nachfrage nach so genannten Online-Beratungen. In dieser Zeit wurden die KDCs auf die Probe gestellt und haben sich aus unserer Sicht sehr gut geschlagen. Sie haben sehr eindrucksvoll bewiesen, welche zeitgemäßen Alternativen es zu einer Filialberatung gibt.
Kunden für das Online-Banking fit gemacht
Die S-Markt & Mehrwert (S-MM) unterstützt als größtes Call-Center der Sparkassen-Finanzgruppe die Service-Center und Berater der Sparkassen vor Ort mit Telefonie-Leistungen und medialen Services. Durch diese Arbeitsteilung konnte während der Corona-Krise die Erreichbarkeit der Sparkassen über die vielen Kontaktkanäle sichergestellt werden. Neben einer deutlichen Zunahme der Calls zu Banking Services veränderten sich die Anfragen auch thematisch: Bei der Sparkassen-App „Mobiles Bezahlen“ und bei Apple Pay gibt es ein erhöhtes Transaktionsvolumen, da verstärkt kontaktlos bezahlt wird. Unser Kundensupport erhält dementsprechend mehr Anrufe. Wir haben zudem viele Kunden mit den Funktionen des Online-Bankings vertraut gemacht. Auch der Einsatz elektronischer Signaturen zur Dokumenten-Unterzeichnung und die Videolegitimation, die eine Identifikation ohne Filialbesuch ermöglicht, erfahren einen deutlichen Aufschwung von bis zu 75 Prozent. In der Outbound-Telefonie bieten wir Kunden aktiv an, sich finanziell von Sparkassen beraten zu lassen, da sich bei vielen die wirtschaftliche Situation durch die Pandemie verändert hat. Auch Anfragen zu Services, die die S-MM im Rahmen von Mehrwertkonten anbieten, zum Beispiel im Reise- oder Freizeitbereich, haben sich thematisch an die aktuelle Situation angepasst.
Mehr und intensivere Kundenkontakte
Kurz- und mittelfristig sind die Veränderungen natürlich unübersehbar. In den ersten Corona-Wochen zählten wir täglich etwa 5.000 Anrufe mehr als üblich. Zahlreiche Kunden machten sich grundsätzliche Sorgen um ihr Geld und für viele von ihnen waren wir der erste Ansprechpartner. Es waren nicht nur mehr, sondern auch deutlich intensivere Kundenkontakte als üblich. Die Bereitschaft, sich mit Online Banking zu beschäftigen wuchs, ebenso wie die Kontaktaufnahme über soziale Medien – auch die werden von der DB Direkt betreut. Wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen, so wirkt Corona auch im Banking als Trendbeschleuniger. Kunden werden dem Kontakt zur Bank via Telefon, Online oder Social Media immer aufgeschlossener, viele haben in den letzten Monaten durch gute Erfahrungen ihre Bedenken abgelegt. Das wird dem Omnikanal-Konzept Schub verleihen. Intern war und ist Corona eine immense Herausforderung. Sie hat uns unsere Leistungskraft vor Augen geführt und den Zusammenhalt gestärkt.
Verbesserung der Produktivität
Unsere Kundenservice-Teams arbeiten zurzeit überwiegend im Homeoffice. Durch diese selbstständige und eigenverantwortliche Arbeit erhöhte sich nicht nur die Flexibilität in der Einsatzplanung, sondern auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Parallel konnten wir auch eine Verbesserung der Produktivität feststellen. Da Präsenzveranstaltungen nicht möglich waren, haben wir neue Methoden, Tools und Formate – beispielsweise Microsoft Teams, Miro oder Zoom aber auch Arbeitsweisen wie Dailys, Weeklys oder virtuelle Kaffeepausen – getestet. Einige werden wir auch langfristig in unseren Teams nutzen. In Kundengesprächen haben wir, vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie, zahlreiche positive Erfahrungen gemacht. Viele Kunden, die uns wegen Fragen, vor allem in Bezug auf ihre Beitragszahlung, angerufen haben, waren sehr dankbar für unsere Unterstützung und ausgesprochen freundlich. Selbst bei längeren Warte- oder Bearbeitungszeiten waren die Anrufer verständnisvoll und geduldig.
Grundlegende Flexibilisierung des Betriebsmodells
Bain-Analysen des weltweiten Bankensektors zeigen, dass sich das Kundenverhalten mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie verändert hat. Während im Lockdown vor allem in Europa viele Bankfilialen schlossen, stieg gleichzeitig der Informations- und Beratungsbedarf, etwa zur Nutzung digitaler Angebote oder zur Anpassung aktueller Kreditraten. Die Kunden haben sich sowohl telefonisch als auch über andere Kanäle verstärkt an die Kontaktcenter gewandt. Die Anrufvolumina schnellten zum Teil um das Zwanzig- bis Dreißigfache in die Höhe – und das in einer Zeit, in der die Kontaktcenter ihre Infrastruktur zunächst selbst an die neue Situation anpassen mussten. In Zukunft ist mit einer grundlegenden Flexibilisierung des Betriebsmodells und mehr Homeoffice-Anteilen zu rechnen. Kontaktcenter werden für Banken nach der Pandemie eine noch zentralere Rolle in der Kundenberatung und -betreuung übernehmen. Zudem werden sie Kunden bei der Nutzung des Mobile- und Onlinebankings maßgeblich unterstützen.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie viel Flexibilität bei gleichbleibender Effizienz möglich ist.
Fazit
Generell lässt sich also zusammenfassen, dass weder Kundenzufriedenheit, Qualität noch Effizienz unter dem erhöhten Call-Center-Bedarf spürbar gelitten haben. Die Verantwortlichen haben erstaunlich schnell ‚die Hebel umgelegt‘, was einen nahezu reibungslosen Übergang ohne große Übergangsverluste zur Folge hatte. Die zunehmende Tätigkeit im Home-Office erfordert dabei andere Formen der Qualitätssicherung, die zwischenzeitlich zum großen Teil bereits implementiert wurden.
Bei den meisten Mitarbeitern der Finanzdienstleister und Versicherungen kam die Umstellung auf Home-Office gut an. Das gesteigerte Maß an Flexibilität und der Wegfall des Weges zur Arbeit waren dabei wichtige Aspekte. Der Innovationsschub für die im Home-Office genutzte Hardware darf dabei ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden, viele Abläufe können damit auch in Zukunft deutlich gestrafft, vereinfacht und beschleunigt werden. Einige Mitarbeiter der vom Home-Office betroffenen Unternehmen vermissen jedoch die persönlichen Kontakte im Büro, der Teamgeist kann unter bestimmten Bedingungen leiden.
Die Kunden nutzten gerne die erweiterte Verfügbarkeit der Call-Center, hier stand neben dem verschwundenen Infektionsrisiko vor allem die Bequemlichkeit der Abläufe im Vordergrund.
Schlussendlich darf der Klima- und Umweltaspekt des gesteigerten Call-Center-Einsatzes nicht außer Acht gelassen werden, denn der Energieeinsatz dürfte sich unter dem Strich spürbar verringert haben. Viele Unternehmen, darunter auch einige aus dem Banken- und Versicherungsbereich, denken bereits über die Verkleinerung ihrer Büroräumlichkeiten nach, was die angespannten Mietverhältnisse in den Ballungsräumen mildern könnte. So ließe sich nicht mehr benötigter Büroraum in Wohnungen umwandeln.